Gleich und Gleich
gesellt sich gern

Edition 09

«S’hed vo Afang a giiget»

Der Gesprächsstoff wird den Winzer:innen Marilen Muff, Alain Schwarzenbach und Mathias Bechtel so schnell nicht ausgehen. Das wird sofort klar, als wir uns an diesem Frühsommertag in Eglisau – unter dem Vordach der 2019 gebauten Kellerei von Bechtel-Weine – einfinden. Es wird umarmt, ein Spruch gemacht, auf die Schulter geklopft.

 

Das grosse Vordach – welches die Weinbauern bei Wetterumbrüchen während der Wümmet Zeit gewinnen lässt und somit Gold wert ist – kommt uns bekannt vor. Mathias hat für die Planung seines Kellers, der sich dezent ins geschützte Ortsbild des Städtchens Eglisau einfügt, denselben Architekten engagiert, wie damals die Schwarzenbachs für den Neubau ihres Kellereigebäudes. Das ist aber längst nicht die einzige Gemeinsamkeit der beiden Weingüter…

Stolz zeigt Mathias uns seinen modernen Keller, der mit Hilfe von Photovoltaik und Geothermie betrieben wird. Auf dem Rundgang durch das Gebäude wird rege ausgetauscht über adäquate Flaschengrössen, Kühlanlagen oder auch das nächste gemeinsame Kite-Wochenende am Comer See.

«S’hed vo Afang a giiget», erklärt Mathias, als ich ihn nach den Anfängen der jahrelangen Freundschaft mit Alain frage. An der Berufsschule in Wädenswil haben sich die beiden als Sechzehnjährige kennengelernt. Die Winzer- Lehrlinge sind nicht nur gemeinsam im Unterricht gesessen, sondern haben die Feste auch gefeiert, wie sie gefallen sind. «Ein paar Fläschchen Wein lagen hierfür stets im nahen Wäldlein versteckt », erzählt Mathias und lächelt dabei schelmisch. All die Jahre haben sich die Winzerfreunde nicht mehr aus den Augen verloren.

Im Jahr 2007 hat es den gebürtigen Bündner Bechtel ins Zürcher Unterländer Städtchen Eglisau verschlagen. Seither produziert er hier Wein und fühlt sich sichtlich wohl. Auch Alain gerät ins Schwärmen, als er von seinen Lehrjahren bei Urs Pircher in Eglisau berichtet. «Weinkultur wird in Eglisau grossgeschrieben.», darin sind sich Alain und Mathias einig. Im Jahr 2017 konnte Mathias ein kleines Weingut übernehmen. 2019 bezieht Bechtel-Weine dann schon den neu gebauten Weinkeller. Heute bewirtschaftet er 6ha Rebfläche – doppelt so viel wie in seinen Anfängen.

«Der Blauburgunder ist kräftig und gefällt mit seiner Aromatik von dunklen Beeren.» 


 




Blauburgunder 2022
Zürichsee AOC, CHF 19.00, 75 cl
Zum Wein »

Dass Mathias die Dinge gerne mit Tempo voranbringt und dabei beweglich bleibt, wird nicht nur an der Geschichte von Bechtel-Weine deutlich. Auch auf unserem Rundgang durch den Keller wird diese Eigenschaft spürbar. Mit Nachdruck erklärt mir Mathias: «Hier im Weinkeller ist nichts fixiert, alles mobil, alles veränderbar!» Die Sorgfalt im Umgang mit den Trauben ist dabei für ihn zentral. Das Traubengut ist das höchste Gut!

«Mathias und ich hatten die dümmsten Ideen», scherzt Alain und lacht schallend, als wir uns nun aufmachen, um die Rebberge von Bechtel-Weine zu besichtigen. Nur dumme Ideen waren das aber sicherlich nicht, davon können wir uns heute überzeugen. Marilen beschreibt den Einfallsreichtum, den Wissensdurst und die Bereitschaft voneinander zu lernen als wesentliche Gemeinsamkeit der befreundeten Winzer. «Beide lieben es Neues anzustossen, dranzubleiben und trotz guter Lösungen an weiteren Möglichkeiten zu tüfteln.» Der Austausch der beiden Weingüter ist nur so fruchtbar, weil sie auch für dieselben Werte einstehen: Wein in hoher Qualität produzieren und dabei auf eine nachhaltige Produktion achten.

Melioration in Eglisau

Wir stehen nun inmitten der neu gepflanzten Rebstöcke von Mathias am Vorder Stadtberg. Wir blicken auf den imposanten Rhein, der am Fusse des Rebbergs fliesst und geheimnisvoll anmutet. Der Rebberg liegt eingebettet in das satte Grün der Hügel rund um Eglisau. Unter uns das mittelalterliche Städtchen, über uns das Blau des Himmels. Und rundherum Rebstöcke! Es scheint ein bisschen, als stünde hier die Zeit still. Doch dem ist ganz und gar nicht so. In den letzten Jahren hat sich der Vorder Stadtberg stark verändert.

Der Rebberg – der mit seinen 3.5 ha Rebland das Ortsbild Eglisaus prägt – wird seit 2021 etappenweise melioriert. Ausgangslage war ein Weinberg, der aus vielen kleinen unzugänglichen Parzellen bestand. Um die Bewirtschaftung zu erleichtern und zukunftsfähig zu machen, wurde eine Rebbergzusammenlegung vorgenommen. An diesem Prozess war und ist Mathias federführend beteiligt. Die erste Etappe ist bereits geschafft. Es wurden neue Terrassen angelegt und aus 15 kleinen wurden drei sinnvolle Rebparzellen. Relevant ist dabei auch der Sortenspiegel, der mit Blick auf die klimatischen Veränderungen neu ausgerichtet wurde. Es wurden neue Rebsorten gepflanzt und alte Stöcke ausgerissen.

 
 

 




Pinot Noir 2022
AOC Zürich, CHF 19.00, 75 cl
bechtel-weine.ch

Mathias gibt sich sehr zufrieden mit dem Verlauf des Projekts. Dank der Melioration kann er heute eine grössere Rebfläche nachhaltiger bewirtschaften. Wir steigen die grosse Treppe hoch, die ebenfalls im Zuge der Rebbergzusammenlegung entstanden ist, und Eglisauer:innnen und Tourist:innen zum Spazieren und Verweilen im Rebberg einlädt. Dabei sehen wir Steinhaufen, Wildblumen und Trockensteinmauern. Sie zeugen davon, dass auf ein ökologisches Gleichgewicht im Weinberg Wert gelegt wird. Denn die Melioration in Eglisau steht auch für mehr Biodiversität.

Diese liegt Mathias besonders am Herzen: «Mit diesem Projekt haben wir ein deutliches Zeichen für den nachhaltigen Rebbau gesetzt!» Auch am Zürichsee bewegen Nachhaltigkeitsgedanken und die Sorge um die klimatischen Veränderungen die Winzer:innen Marilen und Alain. «Die Wetterschwankungen sind diese Tage enorm», berichten sie, «wir haben den Betrieb 2016 übernommen und hatten bereits zweimal einen grossen Schaden mit über 50% Ertragseinbusse.» Einmal hat der Frost den Schaden verursacht: «Frost gab es davor 100 Jahre nicht am Zürisee!» Und einmal hat der Hagel bei Schwarzenbach Weinbau das Traubengut zerstört. Um ihre Ernte vor Hagel zu schützen, arbeiten Marilen und Alain nun vielerorts mit Hagelschutznetzen – mit Erfolg.

Die Folgen der Klimaerwärmung umtreiben den Winzer Alain, das wird im Gespräch deutlich spürbar. Wie wird die Zukunft des Weinbaus aussehen? Alain wäre nicht Alain, wenn er im Zuge dessen nicht neugierig wäre und experimentieren würde. Das macht er diese Tage mit robusten neuen Sorten. Diese sind weniger anfällig auf Pilzkrankheiten und müssen kaum behandelt werden. Trotz all der Freude am Neuen, Alain weiss um die Schätze, die Schwarzenbach Weinbau seit Generationen pflegt: «Ich würde niemals auf den Räuschling, den Sauvignon Blanc und den Pinot Noir verzichten wollen, das sind vielfältige und spannende Sorten, derentwegen machen wir Wein!»

Welche Traubensorte ihren Weg in unsere Gläser findet, ist nicht nur abhängig von den Vorlieben der Weintrinker:innen. Der Sortenspiegel – die Zusammensetzung der Traubensorten im Weinberg – wird ebenso stark beeinflusst von Umweltfaktoren. Welche Traube kann in einer bestimmten Lage möglichst schonend angebaut werden? Und welche Sorte wird auch in 20 Jahren noch guten Ertrag bringen? Das sind Fragen, denen sich die Winzer:innen bei einer Neupflanzung oder Umpfropfung von alten Sorten stellen und die ihre Entscheidungen prägen.

Nachhaltige Sortenwahl: Der Hoffnungsträger Räuschling

Wir sind zwischenzeitlich von unserer Tour durch die Rebberge zurückgekehrt, haben die Sonnenschirme aufgespannt, gerichtet und sitzen nun bei Plättli und Wein zusammen. Die Mittagssonne brennt an diesem Junitag schon heiss und passt zu unserem Gesprächsthema. Die Runde diskutiert über die Sortenwahl angesichts des sich erwärmenden Klimas. Schwarzenbach Weinbau ist ein Familienbetrieb, der auf eine lange Tradition zurückblicken darf. Jede Generation hat das Weingut und mit ihm auch den Sortenspiegel mitgeprägt. 20 verschiedene Traubensorten zählt das Weingut derzeit. «Vor einem 40-jährigen Rebstock habe ich grossen Respekt», würdigt Marilen. Alle Sorten werden die Klimaerwärmung wohl nicht mitmachen, doch eine Traubensorte macht in Meilen wie Eglisau gleichermassen Freude, auch oder – vor allem – mit Blick in die Zukunft.

Der Räuschling kommt sehr gut zurecht mit dem Klimawandel, darin ist sich die Winzer:innen-Runde einig. Er sei unkomplizierter als auch schon, lasse sich leichter bändigen. Er entwickle selten Mehltau auf der Traube und ergebe einen guten Ertrag. «Auf jeden Fall ist der Räuschling eine Sorte mit viel Potenzial!», beteuert Alain.

«Das Akazienholz verleiht dem Räuschling Séléction Frische und eine markante Note.» 


 




Räuschling Sélection 2022
AOC Zürich, CHF 25.00, 75 cl
bechtel-weine.ch

Freude macht auch, dass Alain und Mathias – nach dem Plättliessen in geselliger Runde – nun ihre Weine gegeneinander antreten lassen. Wie in guten alten Zeiten! Als junge Winzer haben sie oft Jungwein-Degustationen durchgeführt. Der Austausch über die frisch abgefüllten Weine war ein wichtiger Bestandteil ihrer Freundschaft. Dieser Tage kommen solche Verkostungen oftmals kurz. Umso enthusiastischer wenden sich Marilen, Alain und Mathias den Weinen zu.

Nach vielen anerkennenden und hier und da auch (selbst-) kritischen Tönen, ziehen wir weiter. Wir verabschieden uns unter dem schattenspendenden Vordach von Bechtel-Weine. Es wird umarmt, ein Spruch gemacht, auf die Schulter geklopft. Und Alain stösst Mathias in die Seite: «Gell, bringst eine Flasche von deinem Räuschling Séléction nächtes Mal an den Comer See mit?»

«Der klassische Räuschling überzeugt durch seine zarte florale Zitrusaromatik und frische mineralische Säure.» 


 




Räuschling 2022
Zürichsee AOC, CHF 18.00, 75 cl
Zum Wein »

AUS DEM REBBERG

Das Weinjahr 2023

«Es war ein verregneter Frühling! Wenn es so weitergegangen wäre, hätten wir uns auf Pilzkrankheiten im Rebberg einstellen müssen … doch glücklicherweise wurde es dann sehr trocken. Im Juni wuchsen die Trauben und das Gras nur langsam und machten uns dadurch wenig Arbeit – was für uns sehr angenehm war. Dann kam die Blütezeit, auch die stimmte uns zufrieden: Es gab einen guten Fruchtansatz und fast etwas zu viel Ertrag. Im August waren wir dann damit beschäftigt, diese überschüssigen Beeren rauszuschneiden. Es war ein Effort – doch nun gibt’s mehr von unserem feinen Verjus, das wiederum freut uns natürlich!

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, aber bislang ist 2023 ein sehr gutes Weinjahr: Die Qualität und die Quantität stimmen! Ein kleiner Wermutstropfen: Durch den Starkregen Ende August platzten einige Beeren des Räuschling auf, diese müssen wir während der Wümmet raussuchen und entfernen.»


– Alain Schwarzenbach